Projekt

Projekt

Die demokratische Gesellschaft der Gegenwart befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Wandels der Orte und Medien des Sozialen. Begegnungen und Kooperationen, aber auch Auseinandersetzungen und Konflikte finden immer häufiger in neuen technisch-medialen Kontexten statt. Dabei verändern sich die traditionellen Formen politischer Repräsentation. Etablierte Muster sozialer und politischer Identifikation wie Parteibindungen und Milieuzugehörigkeiten sind brüchig und weniger erwartbar geworden. Zudem haben sich die Muster und Orientierungspunkte politischer Kollektivierung verschoben: zugunsten einer Pluralisierung und Singularisierung, aber auch zugunsten einer bisweilen populistischen Infragestellung der Legitimität kollektiv bindender Entscheidungen.

Parallel dazu entstehen neue Formen der Selbst-Präsentation politischer Subjekte und neue Möglichkeiten, sich politisch zu entwerfen und zu erzählen. Politische Selbstdarstellungen der Gegenwart finden neue Erzählanlässe und neue Inszenierungsweisen und suchen nach neuen Formaten für die eigene Positionierung im politischen Raum. Dabei werden etwa Konsum- und Lebensstilentscheidungen, nicht selten nah im Umfeld des eigenen Körpers, zu einem zentralen und nicht weiter diskutablen Fundament des eigenen Daseins aufgewertet und politisch aufgeladen. Es handelt sich nicht selten um eine privatisierte Form der Politisierung, aus der sich jedoch nur schwer ein verallgemeinerbares politisches Programm ableiten lässt und auch gar nicht abgeleitet werden soll.

Das Projekt geht von der These aus, dass der Wandel der politischen Repräsentation und der Wandel politischer Selbst-Präsentation nicht nur zeitgleich stattfinden, sondern aufeinander bezogen sind. Sie müssen daher zusammen gedacht und zusammen beobachtet werden. Die Forschungsgruppe untersucht deswegen das Wechselverhältnis medialer Formen einer Präsentation von Subjekten und ihrer politischen Repräsentation in der politischen Kommunikation. Dabei stehen zwei Formen politischer Kommunikation im Vordergrund, die mit den neuen Dynamiken von Repräsentation und Selbst-Präsentation korrelieren: einerseits Formen der Fürsprache im Namen von Gruppen, Milieus oder einem abstrakten Allgemeinen; andererseits Formen der Ansprache, die als vermeintlich authentische, konkrete Darstellungsform von Einzelnen im politischen Diskurs fungiert.

Teilprojekte

Von Kollektivität zu Konnektivität. Inszenierungsweisen politischer Subjekte.

Julian Müller untersucht Präsentationen des politischen Selbst. Die Chronologien und klaren Ein- und Austrittsereignisse des Lebenslaufs (vgl. noch Kohli 1985) werden zunehmend weniger erwartbar. Der Verlust von Stabilität und Erwartbarkeit von außen muss in irgendeiner Form substituiert werden, und so überrascht es nicht, dass in gegenwärtigen Selbstdarstellungen immer wieder Motive einer Selbstfundierung auftauchen; davon zeugt etwa der gegenwärtige Erfolg von Bekenntnissen, Konversions- oder Verzichtserzählungen. An diesen Berichten lässt sich etwas ablesen, was in der Biographieforschung als „innere Institutionalisierung“ (Schmeiser 2006) bezeichnet wird. Nicht nur geht mit dem Stabilitätsverlust oftmals eine Tendenz zur Selbstverhärtung einher, auch deuten sich neue Formen des politischen Weltbezugs sowie neue Kollektivierungsweisen an: An die Stelle der Identifikation mit einer Partei, einer Gruppe oder einer Idee tritt die Möglichkeit, sich aufgrund individueller politischer Relevanzen oder Aversionen mit anderen zu vernetzen. Dies verweist auf eine Entwicklung, die im Forschungsprojekt als Bedeutungsverschiebung von der Frage nach Kollektivität hin zu einer nach Konnektivität verstanden wird. Das Einzelprojekt erforscht vor diesem Hintergrund systematisch und in Auseinandersetzung mit konkretem empirischen Material biographischen Dokumenten unterschiedlicher Art, die Bezugsprobleme derartiger Erzählweisen eines neupolitischen Selbst.

Julian Müller

Soziologe, Forschungsstipendiat der Gerda Henkel Stiftung, beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Selbstdarstellung politischer Subjekte und der Selbsterzählung der eigenen Politisierung. Im Sommersemester 2022 hat er eine Gastprofessur für Stadtforschung an der TU Graz inne.

Homepage
Kontakt: j.mueller@re-praesentation.de